Emotionale Tangentiale – DNF Ironman Cervia

Emotionale Tangentiale – DNF Ironman Cervia

Fünf Langdistanzen in den letzten Jahren, zwei davon dieses Jahr. Alle fünf ins Ziel gebracht – mit dem ein oder anderen Problem, welches eine angepeilte Zeit vermasselten. Das diese Serie irgendwann reißen würde, war mir klar. Ich war jedoch davon ausgegangen, dass die Serie in Cervia so reißt, dass ich das Rennen mit einer guten Zeit beende und happy in die Off-Season gehen würde.

Die Serie ist gerissen, aber anders. Mein erstes „DNF“ (did not finish, für alle die es noch nicht wussten. Nicht beendet, für alle die kein Englisch können) und das nach bereits 70km Fahrrad.

Eine unfassbar schwere Entscheidung während dem Rennen. Wie schon bei Klagenfurt und auch Glücksburg berichtet, geistert so ein Gedanken ja immer mal kurz im Kopf – und das wahrscheinlich auch bei fast jedem Athleten.

Für mich galt / gilt immer: DNF ist keine Option, außer wenn es um Verletzungen oder um nicht behebbare technische Pannen geht oder wenn ich aus welchem Grund auch immer in den Bereich von über 10 Stunden käme (Dann wäre mir einfach der Impact eines Marathons zu viel für diese Zeit). Ansonsten quäle ich mich auch ins Ziel und nehme eine Zeit von 9.15, 9.30h und habe zumindest am nächsten Tag schwere Beine und die Kalorien vom Carboloading verbrannt. Alles okay.

In Cervia lief es anders.

Mit außergewöhnlich gutem Gefühl war ich angereist, war selbstbewusst wie selten und die letzten Einheiten vor Ort bestärkten dieses Gefühl eher.

Schwimmen ohne Neo (Mit Neo für Age-Grouper) war schnell sicher und beim Training hatte ich dennoch ein relativ gutes Gefühl, wenngleich ich wusste, dass ich ohne Neo im Meer jetzt keine Zeit von weit unter einer Stunde anpeilen könnte, dazu reicht es noch nicht.

Rad- und Laufstreckencheck liefen gut und das Gefühl bei beidem war exzellent. Watt, Pace, Puls… alles hat gepasst, Beine fühlten sich gut an und ich konnte kaum erwarten, bis es endlich losging.

Bei der Ganzen Pre-Race Geschichte hat mich Valentin begleitet, der ja eigentlich selbst am Sonntag den 70.3 in Angriff nehmen wollte, aber leider nicht starten konnte, da er vorher aufgrund einer Virusinfektion eine längere Trainingspause einlegen musste und immer noch nicht wieder bei 100% ist.


Topform. Auf der Laufstrecke, kurz vor dem Wettkampf. Lief super. Hier: Ich mache Spaß mit Vale, dass er auf dem Rad und ich bei Pace 3.58 min/km wahrscheinlich den gleichen Puls haben.

Samstag früh. Aufwachen und irgendwie sofort das komische Gefühl, dass ich mich „verlegen“ hatte.
Nichts schlimmes, nichts dramatisches… nach rechts schauen ging nicht wirklich gut und nach oben schauen ebenso…. Aber das Schwimmen würde hier sicherlich helfen dachte ich.

Kurz noch mal mit der Massagepistole drüber gegangen am Morgen und das Beste hoffen.

Aufwärmen, Einschwimmen ging alles recht gut und ich hatte die ganze Sache eigentlich gar nicht mehr auf dem Schirm.

Beim Schwimmen lief der Start ein wenig chaotisch ab, da sehr viel Mischung aus Rennen, Delphin-Sprünge, Rennen, Schwimmen und wieder Delphin war. Bis es sich sortiert hatte dauerte und ich war happy, dass ich an Füßen war. Endlich mit einer Gruppe durchschwimmen, dachte ich – super! Ich spürte, dass das Tempo in der kleinen Gruppe nicht sonderlich hoch war und überholte den Delco und Björqvist. Leider war in dieser Zeit die Gruppe um Kandutsch und Trunk schon weg und so sehr ich versuchte, die Lücke noch einmal zu verkleinern, ich bin auf der scheinbar endlos langen Gerade nicht mehr herangekommen.

Mit Björqvist und lange Zeit auch Delco im Schlepptau ging es also ohne Wasserschatten über die 3.8 Kilometer und nach 1.02h kam ich aus dem Wasser. Zu langsam um gut zu sein, 5 min schneller als bei meinem letzten Non-Wetsuit-Swim vor 1.5 Jahren. Damals verlor ich auf die Gruppe mit Kandutsch knapp 9 Minuten, dieses Mal waren es knapp 5 Minuten. Es geht in die richtige Richtung, aber – ich wiederhole mich zu 2021 und 2022 – es muss über den Winter ein bisschen was im Wasser passieren. Aber hier habe ich mit Lukasz schon einen Plan, dass wir hier gezielt angreifen.

Der Schwede kam schneller als ich aus dem Wasser, weil ich hier kurz Krämpfe hatte und nicht sofort losrennen konnte. Das wären wichtige Sekunden gewesen, wenn man sich seine Radzeit (4.29) ansieht…

So fuhr ich alleine los, brauchte auf den ersten 5 Kilometern etwas zu lange und versuchte dann meinen Rhythmus und meine Watt zu finden.

Der Kurs macht wahnsinnig viel Spaß zu fahren… gerade die Autobahn mit immer über 45 km/h ist ein schönes Stück, was es auch eher selten gibt. Bei Kilometer 40 hatte ich durchschnittlich einen 40er Schnitt auf der Uhr stehen, was erstmal im Rahmen war – wenn auch einen Tick zu langsam.

Hätte ich genommen, wäre ich auch so weiter gefahren. Leider konnte ich schon zu Beginn nie schmerzfrei nach vorne schauen in Aero-Position und musste immer die linke Seite vom Oberkörper mehr belasten, als die rechte. Diese Haltung führte dann dazu, dass ich nach einer Stunde bereits im unteren Rücken sehr starke Schmerzen hatte und die komplette linke Kette – also LWS, Gesäß- und Hüftmuskulatur, vorderer und hinterer Oberschenkel bis hin zum Schienbein und Knie – versagte.

Delco hatte mittlerweile seine knapp 2 Minuten Defizit wieder aufgeholt. Ich fuhr mit ihm und zwei anderen Athleten zum Fuß des einziges Anstieg des Tages – eigentlich ein Stück, wo ich eher Boden gut machen konnte und welches im Training super lief. Am Renntag konnte ich hier nicht mal 220 Watt fahren… nur das rechte Bein konnte effizient arbeiten. Zwei meiner Leute waren am Berg gestanden und sahen das Unheil bereits an meinem Fahrstil. Ich rief noch zu, dass ich wahrscheinlich rausgehen müsse. Auf der Abfahrt probiert alles zu lockern, ohne Druck den Berg runter… unten wieder probiert in Aero ein paar Watt zu treten, bevor ich beschlossen hatte, dass es das heute war.

Ganz, ganz schwere Entscheidung… du weißt ja nie, ob es nicht doch noch besser werden würde? Ich wollte unbedingt die Autobahn ein zweites Mal fahren… Und ich hatte mich so auf das Laufen gefreut… neue Schuhe, die letzten Einheiten einfach super, die Laufkilometer haben gepasst…

Bei allen Verletzungen, die ich mal hatte in den letzten Jahren; Das war der schwerste Moment. Anhalten bei einem Streckenposten. Die italienischen Kinder kamen besorgt und wollten wissen, was los sei.. Athleten fuhren in riesigen Gruppen ohne Abstand an mir vorbei… ich holte mir ein Handy und tippte Annalenas Nummer, um meinen Leuten zu sagen, dass ich raus bin.

Ich rollte langsam und taub zu einer Bäckerei, wo ich rund eine Stunde warten musste, bis ich abgeholt wurde. In einer Stunde wo ich mehr Windschatten sah, als ich bisher 5 Langdistanzen, die ich selber gefahren bin. Wo die Senioren mein Rad auf Carbon oder nicht abklopften und bewunderten. Wo ein Italiener angehalten hat, von einem hilfsbereiten Rennradfahrer den Reifen gewechselt bekommen hat und sich währenddessen bei Cola mit dem Polizisten unterhalten hatte und wo die italienischen Damen mich versucht hatten zu trösten und alle feststellten, dass Haare oder Haut streicheln keine gute, sondern eine salzig-eklige Sache ist.

Ein paar Tränen hier und da und viele Gedanken – zeit genug war ja.


Topform II. Im Training. mit knapp 60 km/h durch die Unterführung und ohne Mühe dahinter wieder rauf. Im Wettkampf… dieser kleine Anstieg hat mich gefühlt Minuten gekostet. Und kurz danach war meine Fahrt vorbei.

Die Heimfahrt dauerte ewig, mir war mittlerweile schlecht vor Hunger (und vom dem 0.33er Peroni, was ich getrunken hatte) und die meisten Profis waren schon knapp beim Halbmarathon, als wir endlich in Cervia angekommen waren, wo Annalena mit den anderen Zwei- und Vierbeinern mit Piadina und Lemon-Soda wartete. Emmy freute sich, als ob ich das Rennen gewonnen hätte – was die Sache dann nicht immer einfacher macht.

Der lange Gang durch die längste Wechselzone der Welt (1km lang) war ein schwerer Gang, musste aber sein um Chip abzugeben und meine Laufschuhe zu holen, die eigentlich dort auf mich gewartet hatten.

Die Stimmung auf der Laufstrecke war toll, zu toll für mich, um sich das Ganze anzuschauen. Obwohl ich es mir vorgenommen hatte – ich wollte weg und nach Hause.

Nachmittag und Abend verliefen dann positiver und schöner, als gedacht. Am Abend ging es gemeinsam mit allen die dabei waren (Annalena, meine Eltern, Vale & seine Eltern) in die Pizzeria in San Mauro, da wir zum Glück keine Unterkunft in Cervia haben. 😉

Kernaussage des Abends von mir: Mario Basler feierte nach dem verlorenen Champions League Finale 1999 und wurde dafür scharf kritisiert. Warum, sagte er?! Die Mannschaft hatte es ins Finale geschafft – das ist ein Grund zum Feiern – auch bei einer Niederlage.

Bei mir waren es 2 Mittel- und 3 Langdistanzen dieses Jahr bei denen ich fit und gesund an der Startlinie war. In Klagenfurt noch mit Defiziten bei den Laufumfängen, aber fit und ohne Verletzung. Es ist meine erste Profi-Saison, in der ich konsequent ungefähr 30 Stunden in den Belastungswochen trainieren konnte, das erste Jahr wo ich regelmäßig 30km long-runs mit Race-Pace machen konnte, ohne mich zu verletzen, ohne Ermüdungsbruch oder ähnliches. Das ist auch ein (kleiner) Erfolg – der sich irgendwann (hoffentlich aber sicherlich) bei einem Wettkampf widerspiegeln wird.

Dementsprechend ist auch alles gut, alles hierzu gesagt oder geschrieben. Ich bin zufrieden mit 2023 – privat, sportlich und „geschäftlich“, wenn man die Erfolge bei GETactive diese Saison sieht. Da

Das Ganze zu tippen hat es nochmal ordentlich aufgewühlt und gezeigt, dass es noch länger wehtun wird, als der Nacken und das linke Bein (was heute zum Glück immer noch sehr schmerzhaft ist, was zumindest zeigt, dass die Entscheidung richtig war…).

Pain is temporary. Quitting lasts forever, sagte Lance Armstrong. Mal sehen, ob er recht hat. Ich denke aber, dass hier der Satz von Jose Mourinho auch sehr passend ist, wenn er meinte, dass nach einem schlechten Spiel das nächste am besten schon am nächsten Tag sein müsste, um eine neue Chance zu haben.

Genau das wird bei mir nicht der Fall sein – leider. Wenn kein Rad vom Himmel fällt wird der nächste Ironman erst 2024 sein. Aber auch das ist okay, da ich die Off Season schon auch nötig habe dieses Jahr.

Bis zum Ende des Jahres stehen einige interessante Dinge an; Event mit GETactive, Vorträge, Coachings… mal sehen was da noch so passiert. Einen spontanen cruisy-Marathon ohne Druck und mit viel Spaß will ich nicht ausschließen, die Laufschuhe warten schließlich noch. Die Socken sind auch noch drin, alles bereit.

An dieser Stelle wieder einmal: Danke!

An alle, die dabei waren: Annalena und die beiden Kinder, eins mit Fell, eins mit Haaren. Meine Eltern. Vale, echt Hochachtung, dieser Support war wiedermal großartig. Bis zwei Minuten vor dem Start war er da, hat mir die Jacke abgenommen und ich bin ins Wasser. Hat mir quasi durch den Zaun zugerufen welchen Beutel ich nehmen muss, dass ich Schwimmbrille gegen Helm tauschen sollte, weil ich in dem Moment verpeilt war. Sabine und Klaus (alias Vales Eltern) – großartig und es tat gut, nach so einem Tag so eine Bande um sich zu haben.

Und vielen Dank an alle, die mir geschrieben haben – egal ob vor oder nach dem Wettkampf.

Wenns mehr als ein Affen-Smiley ist, dann hat die Nachricht meist schon Qualität und freut mich oder baut auf.

(Falls jetzt hier einer meiner Sponsoren mitlesen sollte, hier kommt der offizielle und ausführliche Dankeschön-Blog noch, aus gegebenem Anlass erst ein bisschen später als sonst.

So, damit ist das Kapitel Ironman Cervia 2023 abgeschlossen und abgehakt. Das Kapitel Ironman Cervia kommt auf die Liste, auf der schon ein paar Wettkämpfe stehen.

In diesem Sinne, bis bald und sportliche Urlaubsgrüße,

Ciao, David.


Grazie, squadra!

Comments

  • Jörg Lauer
    reply

    Hallo David,
    Über Xing bin ich zu deinem Coaching gekommen und von da aus auf deine Seite hier.
    Mit Staunen und Bewunderung habe ich deinen Bericht über den Ironman Cervia gelesen.
    Respekt und Anerkennung für deine Energie und deine Ausdauer, dich dem Triathlon profimäßig zu verschreiben.

    Und deinen Worten braucht man und kann man und muss man nichts hinzufügen.
    Wenn ich‘s als Hobby-Biker, Lesender und Außenstehender anmerken darf: dein DNF ist m.E. auch „nur“ ein Teil deines sportlichen Prozesses. Und nicht nur dies, auch für dich als Individuum gehört dieser Rückschlag zu deiner weiteren Entwicklung.
    Für 2024 wünsche ich dir die maximale Gesundheit und die Kraft die Herausforderungen „von innen heraus“ anzugehen.
    Vielleicht denkst du auch mal dran die Trainingszeit zu variieren (30 -> 28 h) – denn oft ist weniger mehr – das kenne ich sehr gut vom Krafttraining und vom Bike Training.

    Lieben Gruß Jörg

    18. September 2023

Post a Comment